Das hätte ich mir einfacher vorgestellt…
Die Radreise mit Säugling? Nein! Diese hatte ich mir zuvor tatsächlich schwieriger ausgemalt. Nein, ich spreche vom Alltag zurück in Berlin! Ich spreche von einer völlig desillusionierten Kapazitätsplanung unseres Alltags.
Unterwegs wurde uns nur allzu schnell klar, dass die Aufarbeitung unserer Reise bis zur Rückkehr warten müsste. Zuhause würde doch alles leichter! Immerhin haben wir noch mindestens zwei Wochen Elternzeit als Puffer eingeplant bevor Bene wieder in den Job zurückmuss. Zeit, um zu schreiben, um Euch mit Tipps zu versorgen, um auf YouTube life zu gehen.
Doch nichts davon haben wir in den letzten 9 Monaten geschafft. Dabei können 9 Monate eine verdammt lange Zeit sein! Doch warum ist das so? Ich werde Euch diese Frage am Ende dieses Artikels vermutlich nicht beantworten können, aber zumindest liegt es in der Natur des Menschen sich rechtfertigen zu wollen…
Inhalt
Die Krux an Social Media

Wer unsere Reise damals auf Instagram verfolgte, kannte am Ende trotzdem nur die halbe Wahrheit. Denn wer möchte auf Instagram den Zoff, die Nervenzusammenbrüche, die Verzweiflung & die Ängste sehen? Natürlich war es unser Anspruch Euch gleichermaßen Positives & Negatives zu zeigen, aber viel lieber & ausführlicher haben wir die schönen Momente mit Euch geteilt. Vielleicht hatte Instagram zu dem Zeitpunkt sogar eine Art therapeutischen Nutzen für uns. Am Ende des Tages (vor allem die positiven) Erlebnisse gemeinsam zu rekapitulieren & zu teilen, hat uns immer bewusstgemacht, welches Glück wir haben, diese Reise so gestalten zu können. Also, vielleicht war es für uns eine Art der Selbstheilung, um sich nicht in schwierigen Situationen zu verlieren. Gleichzeitig war Instagram ein Ansporn. Wir sind anderen Radreisenden gefolgt, die zur selben Zeit auf ähnlichen Routen unterwegs waren & ein Hauch von Wettkampf-Gedanke hat sich bei so vielen Zuschauern wohl auch eingeschlichen. Somit war die Reiseaufarbeitung in Social Media an dieser Stelle für uns in vielerlei Hinsicht ein Segen.
Zurück in Berlin

Doch als wir nach einem abenteuerlichen Sprint (von dem wir Euch unbedingt hier bald mehr erzählen wollen) von Jayat in Frankreich am 17. Juli 2023 um 22:00 Uhr in unserer Berliner Wohnung landeten, war Social Media für uns auf einmal so weit entfernt wie Barcelona. Ich weiß es noch wie heute: Ich betrat unsere Dachgeschosswohnung als erstes mit Peppi. Es waren 36°C, sogar unsere Kerzen waren geschmolzen & hingen kläglich kopfüber aus den Kerzenständern. Nach und nach schafften Bene, David & John unsere Vielzahl an Taschen & Ausrüstung nach oben in den dritten Stock & verteilten alles in unserem Wohnzimmer. Nachdem die beiden zu ihrer eigenen Heimreise (die eine eigene Erzählung wert wäre) aufgebrochen sind, fielen Peppi, Bene & ich völlig geschafft ins Bett.
Und am nächsten Morgen war der Zauber verflogen

Diese Formulierung ist vielleicht ein wenig harsch. Doch mit der ersten Tasse Kaffee (aus der Maschine!) war es plötzlich als wären wir nie weg gewesen – bis auf das Chaos um uns herum. Auf einmal war da diese Leere, weil die Routinen der letzten 73 Tage nicht mehr in unsere Berliner Wohnung passten. Alle Probleme, die während der letzten zweieinhalb Monate unsere Tagesstrategien bestimmt hatten, lösten sich in Luft auf. Dann wäre doch jetzt ausreichend Zeit für Reflektion & Aufarbeitung bevor Bene zwei Wochen später wieder zurück in den Job musste, oder?
Der neue alte Alltag(strott)
Papperlapapp! Nichts mit Reflektion & Aufarbeitung! Es machte „Rums“ & Peppi lag rücklings auf dem Boden. Auf ihr drauf der Couchtisch, an dem sie sich hochziehen wollte. Der Kerzenständer aus Keramik hatte zum Glück ihren Kopf verfehlt, den Sturz auf unser feinstes Laminat dennoch nicht heil überstanden. Ich behaupte, das war der Moment, in dem wir wirklich ankamen – in der Realität. Plötzlich stapelte sich ein To Do auf dem nächsten auf unserer Liste & jedes überlagerte mit Dringlichkeit & Wichtigkeit unsere Aufarbeitung. Wir mussten die Wohnung Peppi-sicher machen, wir wollten Zeit mit Familie & Freunden nachholen, Peppi sollte sich mit neuen (aka alten) Routinen in den Alltag einleben, wir hatten eine Hochzeitsfeier im September zu planen. Ciao & adieu, liebe Aufarbeitung. Auf nimmer Wiedersehen, liebe Fotos, Notizen & Videos!



Moment, bitte nicht so schnell!
Heute haben wir den 01. Mai 2024. Vor genau einem Jahr sind wir exakt hier auf dem 52. Breitengrad Richtung Süden gestartet. Neben dem Ziel Barcelona, einer Menge Windeln & Ausrüstung für alle Wetterlagen (von 0°C bis 38°C!) hatten wir unter anderem eine Cam inkl. Mini-Stativ, unsere Handys, eine Handvoll SD-Karten & sogar einen Laptop inkl. Ladekabel im Gepäck! Dabei bringt alleine der Laptop 2,2 kg auf die Waage. Sollen wir das alles umsonst die 3.000 km durch Europa gekarrt haben? Sollen wir die unzähligen Fotos, endlosen Notizen & minutenlangen Videos tatsächlich kreiert haben, ohne daraus einen Mehrwert zu ziehen? Also, eins ist klar! Der Laptop bleibt das nächste Mal auf jeden Fall zuhause. Das haben wir gelernt. Doch noch wollen wir das gesammelte Material nicht aufgeben! Noch haben wir die Hoffnung, Euch alles nach und nach präsentieren zu können. Wenn die Zeit (mit Kind) nur nicht so schnell verfliegen würde!
P.S. Kleiner Funfact am Rande – vor unserer Radreise war ich maximal frustriert, wie häufig wir auf Blogs von jungen Eltern mit Reiseerfahrung gestoßen sind, die scheinbar nach kurzer Zeit das Handtuch werfen mussten & keine Zeit mehr fanden, ihre Websites zu aktualisieren. Wir wollten doch nur von ihren Erfahrungen lernen! Tja, so spielt das Leben wohl…